Wales - ab durch die Hecke

Irgendwann in den 90ern in Wales: Ich presse verbissen die Lippen zusammen, damit nicht noch mehr von der salzig schmeckenden, dünnflüssigen Schafsgülle in meinen Mund gelangt. Dass ich an der Situation selber schuld bin, macht es nicht besser. Meine Freundin mahnte daheim noch: „Muss das sein? Das gibt garantiert Ärger!“. Ich hatte wie so oft kein Ohr für sie und glaubte an die Genialität meines Einfalls, die Schutzbleche von meinem Krad abzubauen. Das würde meinem Ratbike selbst auf einem der populärsten Motorrad-Umbau-Treffen Europas, der Kent Custom Show, Bewunderung einbringen. Und eben diese wollten wir nach unserem Walestrip ja noch ansteuern. Das solch gewagte Modifikationen nicht im Einklang mit der StVZO standen, erschien mir lästig aber trivial angesichts meiner Phantasien, in denen bärtige Rocker mir anerkennend auf die Schulter klopften und mit Whisky-Flachmännern Tribut zollten.

Was ich nicht bedacht hatte: In Wales sind oft ganze Täler eine einzige riesige Weide, wo die Schafe auch auf der Straße rumlaufen und munter ihren Dung auf den Teer verteilen. Da es dort täglich mindestens einmal zu regnen schien, waren die Straßen mit einem Güllefilm bedeckt, den mein Vorderrad stetig und schwungvoll in mein Gesicht schleudert. Jedes Öffnen der Lippen wurde augenblicklich mit einem intensiven Geschmackserlebnis belohnt. Die Brühe tropfte in den Kragen meiner Wachscottonjacke und saugte sich in meinen Jethelm. Noch Jahre später verströmten beide den eindeutigen Geruch von Schaf, sobald die Duftstoffe von Feuchtigkeit reaktiviert wurden. Grund genug für mich, Wales auf die Da-fahr-ich-nicht-mehr-hin-Liste zu setzen. Mittlerweile sind fast 20 Jahre vergangen, ich mache marginale Fortschritte auf dem Weg zur Weisheit, was sich in Details wie Schutzblechen am Motorrad zeigt und fühle, dass es Zeit wird, dem Land der Schafe und Hecken eine zweite Chance zu geben!

Die Fähre bringt uns von Dublin über die Irische See und spuckt uns im walisischen Holyhead auf der „heiligen Insel“ aus. Die Campingplatzsuche entpuppt sich als schwerer als gedacht. Nicht dass es einen Mangel an Zeltplätzen gäbe, aber an diesem langen Wochenende im August sind viele ausgebucht. Endlich ergattern wir auf einem den letzten Stellplatz. Stunden später trifft ein slowenisches Motorradpärchen ein, dem man die Verzweiflung ansieht. Im Geiste der internationalen Bikersolidarität rutschen wir mit unserem Zelt an den Rand der Parzelle, um für die Slowenen Platz zu machen, die den Akt der Nächstenliebe mit einigen Dosen Bier vergelten.

Den Übergang zur größeren Isle of Anglesey nimmt man kaum wahr, den zum Festland hingegen schon: Die Menai-Bridge ist eine imposante Hängebrücke. Und weil´s so schön war, nehmen wir im nächsten „Roundabout“ die falsche Ausfahrt und tuckern unfreiwillig über die Britania Bridge wieder auf die Isle of Anglesey zurück – ein Irrweg, der nicht wirklich weh tut, zumal wir so noch durch Llanfairpwllgwyngyllgogerychwyrndrobwllllantysiliogogogoch kommen, den Ort mit dem längsten Namen in Wales.

Das Buchstabenmonster ist sogar für lokale Verhältnisse bemerkenswert. Dabei empfinden wir selbst „normale“ walisische Wörter und Namen schon als Zungenbrecher, da sie hier mächtig mit Vokalen wie A, E, O, U und I geizen. Zum Glück sind alle Verkehrs- und Hinweisschilder in Walisisch und Englisch!

Die wuchtige Burg Caermarfon mit ihrem Meerwassergraben ist ein Touristenmagnet und uns damit trotz aller Imposanz nicht wirklich sympathisch.

Der Charme dieses Landstriches liegt für uns mehr darin, dass man hier in eher untouristischem Ambiente auf Entdeckungsreise gehen kann und hinter jeder Heckenbiegung und moosbewachsenen Steinmauer ein neues Kleinod auf einem wartet.

Convey Castle bekommt von uns dafür zweifach Daumen hoch! Aus wechselnden Fahrperspektiven kann man die Burg bestaunen.

Wir parken auf einem Motorradparkplatz und Simon macht sich zur Entdeckungstour per pedes auf, während ich unser Gepäck bewache. Aus einem unscheinbaren Flachbau nebenan spricht mich ein Typ an: Ob ich einen Kaffee oder Tee haben wolle? Wenig später sitzen wir in den „heiligen Hallen“ des Convy Motorcycle Clubs, der europaweit als der Ausrichter der Dragon Rally, dem walischen Pendant zum deutschen Elefantentreffen, bekannt ist. Das Wintertreffen wird seit 1962 veranstaltet und fand nicht selten im Schnee statt, obwohl Südengland für milde Winter bekannt ist. Aber wir sind hier ja auch nicht in Süd-England, sondern in Wales, das nicht nur eine eigene Kultur, Sprache und Fußballnationalmannschaft hat, sondern auch „hohe“ Berge. Der höchste von ihnen, der Mt. Snowdon bringt es auf stolze 1085 Meter. Wir hoffen, ihn in Kürze zu Gesicht zu bekommen.

Abseits der Fernstraßen ist wenig Verkehr. Meistens sind wir auf einspurigen Straßen unterwegs, die als Hohlwege verlaufen oder durch Hecken gesäumt sind und bei denen man nur wenige zehn Meter weit schauen kann. Konzentriertes Fahren ist angesagt, damit man dem seltenen Gegenverkehr nicht unversehens auf der Motorradhaube hängt. Das Reisetempo sinkt rapide, was wahrlich kein Manko ist. Schultern und Seele entspannen sich, der Blick schweift genüsslich umher.

Es gibt viel fürs Auge und zum Glück nichts für die Geschmacksknospen im Mund, auch wenn es an Dung auf der Straße nicht mangelt.

 

Kleine Flüsse, die von Steinbrücken überspannt werden, regelrechte Farnwälder, Brombeersträucher en masse, zottelige Hochlandrinder mit langen Hörnern, kraftstrotzende Pferde und natürlich Schafe, Schafe und noch mehr Schafe.

 

Sie alle schauen desinteressiert von den allgegenwärtigen Weiden zu uns herüber.

In Ysbyty Ifan, einem besonders pittoresken Dörfchen, an denen hier wahrlich kein Mangel herrscht, machen wir Pause, mampfen auf einer Bank sitzend ein paar Kekse, schnacken mit ein paar englischen Wanderern und genießen ansonsten still das Bild, das so malerisch ist, dass man zuweilen an seiner Leibhaftigkeit zweifelt.

Was uns so herrlich vorkommt, mag sich dem hier Lebenden allerdings vielleicht ganz anders darstellen. Viele verlassen Häuser künden davon, dass so mancher ein Leben in dieser ländlichen, infrastrukturarmen Gegend weniger reizvoll fand.

Rechts von uns sollte nun der Mt Snowden erscheinen. Aber in der Wolkensuppe ist selbst bei bestem Willen kein noch so kleines Fitzelchen des Berggipfels auszumachen. Es geht durch Täler und an Seen entlang und für britische Verhältnisse ist es richtig bergig.

Die Attraktivität der Region für Wanderer und Naturenthusiasten schlägt sich leider auch in den Campingplatzpreisen nieder. Wir winken ab und gehen lieber auf kleinsten Sträßchen auf die Suche nach einem Platz zum wild Campen. Schnell werden wir fündig: Zwischen hohen Steinmauern und von blökenden Schafen umgeben schlagen wir unser knatschblaues Zelt auf, dessen Farbe uns nun gar nicht mehr so pfiffig vorkommt, wie vor einigen Wochen, als wir es im Internet bestellten und uns ausmalten, wie damit das morgendliche Licht im Zelt tagtäglich blauen Himmel für uns suggerieren und damit zum Aufstehen motivieren würde. Mal abgesehen davon, dass besagter Effekt nicht wirklich wirkt, ist die grelle Farbe auch denkbar ungeeignet, um sich unauffällig in die Büsche zu schlagen. An diesem Ort brauchen wir uns aber keine Gedanken machen, dass jemand auf uns aufmerksam werden und an unserem Lager Anstoß nehmen könnte. In 13 Stunden, die wir dort kampieren, passiert uns ein einziges Fahrzeug.

Mit dem Zelt sind wir übrigens sehr zufrieden. Für ein solch preiswertes Produkt (ca. 70 EUR) hält es exzellent. Es war bislang insgesammt rund 20 Wochen im Einsatz ohne Defekte. Allerdings würden wir beim nächsten mal ein grünes kaufen, da das einfach unauffälliger beim wild Zelten ist:

High Peak Kira 3 *

Der Bwlch Y Groes, der höchster Pass von Wales, bringt es auf mickerige 548 m auf meiner GPS-Anzeige und wer im falschen Moment blinzelt, kann diesen Superlativ schnell verpassen, zumal die nette Aussicht leicht ablenkt. In den 20er und 30er Jahren des letzten Jahrhunderts jagten Austin-Testpiloten ihre Wagen über diesen Pass – quasi unter Extrembedingungen. Unwillkürlich lauscht man, ob man nicht das Röhren einer solchen automobilen Schönheit hören kann, obwohl das natürlich absurd ist.

Oft erlebt: Auf der Karte sieht eine Straße grandios aus und in der Realität muss man ein Gähnen unterdrücken. So geht es uns bei der Umfahrung des Vyrnwy Stausee. Als ich innerlich schon mit diesem Gewässer abgeschlossen habe, kommen auf den letzten Metern dann doch noch zwei tolle Blickfänge: Ein höchst malerisch im See stehender Burgturm und eine mächtige Steinstaumauer, bei der man grübelt, wie sie vor rund 130 Jahren gebaut wurde.

Mit der nächsten Strecke, die wir ebenfalls nach Karte ausgesucht haben, läuft es von Anfang an prima: Der Schlenker an die Küste wird mit einer Streckenführung direkt am Wasser entlang belohnt! Wäre der Himmel nicht wolkenverhangen, dann wäre unser Glück perfekt.

Der dreifachen Devil´s Bridge, die sich im Reiseführer toll anhörte, können wir nichts abgewinnen und so sputen wir uns angesichts des immer schwärzer werdenden Himmels, eine Stelle zum wild Zelten zu finden. Ein Hügel mit Picknickbank und -tisch verlockt uns. Auch wenn unser blaues Zelt hier schon von Weitem zu sehen ist, zögern wir nicht, Quartier zu machen. Jeden Moment wird Schluss mit lustig sein und der Himmel seine Schleussen ganz öffnen.

Bei leichtem Vorspiel-Regen versuchen wir noch fix ein Abendessen zu bereiten. Ausgerechnet heute gibt der Benzin-Kocher seinen Geist auf. Die Pumpe stößt ins Leere und mir bleibt nichts anderes übrig, als hektisch das Teil zu zerlegen, das Gummi zu justieren und zu fetten, während ich im Minutentakt nach oben schaue.

Erst als wir mit vollem Bauch und Cider-Dosen in der Hand im Zelt liegen, setzt draußen heftiger Dauerregen ein. Glück gehabt! Die Aufschrift „dry Cider“ entlockt uns ein leicht hysterisches Lachen. Der Apfelwein scheint heute das einzige zu sein, das „dry“ bleibt.

Scheinbar war auch eine fette Nacktschnecke auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen und hat sich dafür meinen Helm ausgesucht, der tropfnass wie er war, diese Nacht im Vorzelt auf meiner Gepäckrolle schlafen musste. Als wir morgens starten wollen registriert mein Gehirn eine Abnormalität an meinem Shoei Hornet, die ich erst nach einigen Momenten rational einordnen kann. Durch das Mundstück meines Endurohelms schaue ich auf den hellbraunen, schleimigen Bauch der Schnecke. Wie ist das dicke Biest nur durch die schmalen Schlitze gekommen? Mir bleibt nichts anderes übrig, als den Helm mit dem Schraubendreher zu zerlegen, um den blinden Passagier loszuwerden. Die nächsten paar Stunden beschränke ich mich sicherheitshalber auf flache Atmung. Gerade als könnte ich sonst einen noch unentdeckten Schleimi einatmen.

Überall in Wales gibt es Frühindustrielles zu entdecken: Minen- und Hüttenruinen, die teilweise touristisch erschlossen und zum Teil wild und abenteuerlich zum Entdecken einladen. Von meiner Tour vor 20 Jahren habe ich noch einen Geheimtipp im Gepäck. Zu meiner Enttäuschung kann man das Gelände nun nicht mehr mit dem Krad befahren. Drastische Strafen werden bei Zuwiderhandlung angedroht und so ziehen wir enttäuscht und ohne Fotoshooting ab.

Die historische Pontypool & Blaenavon Railway bietet hingegen genauso wie die benachbarte Blaenavon Grube „Big Pit“ einiges Fotogene. Nicht nur die Mine ist interessant, sondern auch eine ganze Reihe von anderen freilichtmuseumsartigen Orten im Umfeld, wo man zum Teil kostenlos auf eigene Faust rumstromern kann.

Häufig kommt nun die Sonne zwischen den Wolken durch. Wir fahren durch dichte Alleen, die wie Tunnel wirken und in denen Schatten- und Sonnenflecken ein Patchwork bilden.

Moosbewachsene Mauern säumen unseren Weg. Wieder einmal rumpeln wir über eines der in die Straße eingelassenen Viehgatter. Was für unsere Motorräder kein Problem ist, scheint für Schafs- und Rinderhufe eine unüberwindbare Barriere zu sein. Eine pfiffige Lösung, die das ständige Öffnen und Schließen von Gattern überflüssig macht.

Sanfte Hügel, mit Dung gesprenkelte Weiden und gemächlich grasende Vierbeiner in allen Variationen.

Im Brecon Beacons National Park halten wir, als sich eine Herde von freilaufenden Pferden auf uns zu bewegt. Ein Fohlen ist besonders neugierig und versucht, den Handschutz meines Motorrades zu zerbeißen. Es bedarf nachdrücklicher Gewalt, bis der kleine Racker von meinem armen Krad ablässt.

Derweil wälzt sich der Leithengst übermütig und leidenschaftlich mit dem Rücken im Dreck und streckt alle vier von sich. Ein urkomischer Anblick!

Getreu der Redensart „das Beste kommt zum Schluss“, kampieren wir in unserer letzten Nacht neben der Llantony Priory.

Wir sind uns einig: Diese Klosterruinen sind unsere Favoriten im wahrlich nicht Burgen und Ruinen armen Wales! Da kommen selbst die viel gerühmte Tintern Abbey anderntags nicht gegen an, obwohl auch sie zweifelsohne sehenswert ist.

Quasi als Abschiedsmahl gönnen wir uns im überraschend preiswerten Café nebenan ein deftiges walisisches Frühstück: Neben den auch für englisches Frühstück üblichen Zutaten wie Pilzen, Bohnen, Speck und Würstchen glänzt die örtliche Variante mit Toastbrot, das mit einer Käse-Senf-Cider-Mischung überbacken ist. Echt lecker, aber nichts für Leute, die den Tag gerne leicht anfangen! Für uns ist eine kalorienreiche Mahlzeit jedoch ein guter Start für die lange Heimreise! Und diesmal werde ich keine 20 Jahre verstreichen lassen, bis ich wieder nach Wales zurückkehre! Wenn man mit Schutzblechen am Motorrad fährt und ein bißchen Glück mit dem Wetter hat, ist das hier nämlich eine wundervolle Gegend, um entspannt auf Motorrad-Entdeckungstour zu gehen – trotz Schafsdung auf der Straße.

 

 

Länderinfos zu Wales bzw. GB gibt es hier:

Länderinfos Wales

 

 

 

Die Route und die Wegpunkte / GPS-Koordinaten könnt Ihr Euch hier runterladen:

 

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© Frank Panthöfer