Montenegro – mit dem Motorrad durch das Land der schwarzen Berge

Der düstere Name mag auf den ersten Blick eher abschreckend als verheißungsvoll klingen. Dabei hat das Land so viel zu bieten: Küste von lieblich bis spektakulär, grandiose Gebirgslandschaften, einsame gewundene Straßen en masse und echt nette Menschen.

Unser erstes Ziel in Montenegro ist Nikšić, das ein wenig schäbig auf uns wirkt. Es spricht für sich, dass die zweitgrößte Stadt des Landes nur rund 70.000 Einwohner hat, was zehn Prozent der Gesamtbevölkerung entspricht. Uns gefällt, dass es hier lässig und so gar nicht großstadtmäßig hektisch zugeht. Auf den ersten Blick mag Nikšić für normale Touristen wenig attraktiv sein, aber genau darin liegt der Reiz für uns. Ideal um ein Gefühl für Land und Leute zu bekommen. Wir trinken und essen in Lokalitäten, in denen wir die einzigen Ausländer sind und in denen wir schnell mit Personal und Chefs ins Gespräch kommen.

Auf dem Weg ins Kloster Ostrog speichere ich begeistert die feine Strecke als "einspurig + kurvig" ab. Tage später muss ich im Rückblick darüber schmunzeln, da Montenegro nur so strotzt von ebensolchen. Speziell im Vergleich zum bei Motorradreisenden populären Nachbarland Albanien sind hier selbst kleinste Straßen asphaltiert. Und von denen hat das Land eine Überfülle.

Dass wenig bis gar keine Autos und LKW auf ihnen unterwegs sind, erhöht den Fahrgenuss um so mehr.

 

Das Kloster, das in eine fast senkrechte Felswand gebaut wurde, ist leider derart populär, dass schon um 9.00 Uhr morgens der Besucheransturm Ausmaße hat, die uns nach einer flotten Stippvisite zur baldigen Weiterfahrt anspornen.

Montenegros Name kommt daher, dass hier die Berge weitgehend bewaldet sind und viel dunkler erscheinen als die grauen Felsgipfel anderer Balkan-Gebirge. Heute ist allerdings vor allem schwarzer Himmel angesagt. Der damit einhergehende Regen ist hier hochwillkommen, da er viele Waldbrände ablöscht und den heftigen Rauch, der die Sicht diesig machte, aus der Luft wäscht.

Trotz bescheidenem Wetter sind wir ergriffen, als wir von den Bergen herab kommend den ersten Blick von weit oben auf die Kotorbucht werfen. Sie wird oft als Europas südlichster Fjord bezeichnet, was zwar nicht korrekt, aber für den Laien optisch naheliegend ist. Im vorderen Teil der Bucht konzentriert sich der Badetourismus mit all seinen negativen Begleiterscheinungen - inklusive total überlasteter Straßen, auf denen es über einige zehn Kilometer nur stop and go voran geht. Besser man fokusiert sich auf den hinteren, fjordähnlichen Teil, der spektakulärer ist und bei dem man oft dicht am Wasser entlang fährt.

Neben den offensichtlichen Vorzügen hat die Region der Kotorbucht auch einige spannende Lost Places zu bieten.

U.a. einen U-Boot-Bunker, den man zu Fuß oder per Boot erkunden kann und hoch oben über der Bucht die Festungsruine Gorazda, die man auf zig Ebenen und durch kleine und noch kleinere Gänge durchstreifen kann. Während wir enthusiastisch versuchen, jeden Winkel der Ruine zu erkunden, flattern uns Fledermäuse in den dunklen Tunneln entgegen, die vom Licht unserer Lampen aufgeschreckt werden.

Über schier nicht enden wollende Serpentinen schrauben wir uns anschließend bis auf knapp 1.300 Meter hinauf, wo man eine spektakuläre Aussicht auf die vordere und die hintere fjordähnliche Bucht hat. Die Stecke hier herauf ist hingegen nur begrenzt vergnügliche, da sich neben unzähligen Touristen, deren Mietwagen man auf den ersten Blick nicht nur an den Kennzeichen erkennt, auch Reisebusse, Wohnmobile und andere, für die engen Kehren ungeeignete Fahrzeuge zu den Aussichtspunkten hochquälen.

Wir verlassen die Kotorbucht mit gemischten Gefühlen: Landschaftlich ist sie ein Kracher, dem schwerlich ein anderer Ort des Balkans das Wasser reichen kann. Aber in der Attraktivität liegt auch ein Fluch: Kreuzfahrtschiffe spucken hier täglich tausende Besucher aus und auch Individualreisende werden selbst jetzt, Anfang September, noch in solch großer Zahl angezogen, dass es uns den Genuss etwas verleidet.

Vor einigen Jahren waren wir, auf der Rückkehr von unserer Weltumrundung, mal im Oktober hier. Da waren die Temperaturen immer noch angenehm mild und T-Shirt tauglich, aber die Badeurlauber hatten bereits das Feld geräumt, so dass es viel entspannter zuging.

 

Entlang der Adria setzen wir unseren Weg gen Süden fort. Zum idealen Sonnenstand für ein Foto kommen wir beim Fort Mogren an, von dem aus man einen phantastischen Blick entlang der Küste hat.

Von hier sind es nur wenige Kilometer bis zum nächsten militärhistorischen Stopp. Um zur Festungsruine von Kosmač zu gelangen, muss man die letzten rund 500 Meter zu Fuß steil bergauf. Dafür wird man im Inneren der Ruine mit einigen feinen „Oh“- und „Ui“-Anblicken belohnt.

Kurz vor der Grenze zu Albanien, quasi in einer Sackgasse, liegt ein „Juwel“, das den Namen Geheimtipp wirklich noch verdient: die Solana Ulcinj. Gleich zu Beginn unserer Wanderung durch die Salinen wartet ein Highlight auf uns: ein Dutzend, seit 20 Jahren verfallender Wirtschaftsgebäude und Hallen, die wir begeistert erkunden.

So manche Szene wirkt, als wären die Arbeiter und Angestellten von einem Tag auf den nächsten weggeblieben. Sehr spannend!

Die nächsten zweieinhalb Kilometer sind eine einzige Betongerade von zwei Meter Breite mit Kanälen links und rechts, in denen sich Unmengen handtellergroße Krebse tummeln.

Und dann kommt, wofür wir hier sind - nur noch viel toller als erwartet: Vor uns breitet sich ein von zum Wandern einladenden Dämmen durchzogener See aus, in dem Blau und Grün in Sachen Intensität um die Wette eifern.

Flamingos, Pelikane, Löffler und unzählige andere Vögel erfreuen selbst ein Nicht-Ornithologen-Herz und am anderen Ende der schillernden Wasserebene erheben sich die Berge Albaniens.

Was für ein Anblick! Und all das haben wir ganz für uns alleine. Bei dieser außergewöhnlichen Wanderung treffen wir über Stunden hinweg keinen einzigen anderen Tourist.

Von der Mittelmeerküste schlagen wir uns wieder landeinwärts, wo wir jedoch bald schon auf die nächste riesige Wasserfläche stoßen.

Der tief blau schimmernde Skadarsee ist der größte des Balkans und zudem das größte Schutzgebiet für Vögel in Europa. Die Fahrt am montenegrinischen Westufer entlang führt abwechselnd über malerische Abschnitte durchs Landesinnere und ausblickstark immer wieder in Höhenlage am See entlang.

Die Berge Albaniens am anderen Seeufer tragen zum farbintensiven Panorama bei.

In Virpazar, am Nordende des Skadarsees, werden an gut einem Dutzend Ständen Bootstouren angeboten. Wir entscheiden uns für einen 2-Stunden-Trip früh morgens, da dann die Vogelwelt am aktivsten ist. Und in der Tat, wir sind von der Vielfalt und Menge der Sichtungen beeindruckt. So nimmt es beispielsweise ein Dutzend Kormorane ganz gelassen, als wir auf zwei Metern, fast zum Greifen nah, an ihnen vorbei schippern. Besonders stimmungsvoll empfinden wir die Fahrt durch "Kanäle" in riesigen Seerosenfeldern.

Unser Bootsführer erntet unter Wasser wachsende kleine Knollen für uns, die er mit dem Messer schält. Hervor kommt ein wie besonders saftiger Kohlrabi schmeckendes Fruchtherz.

Unsere heutige Tagesetappe führt uns vom Skadarsees im Süden des Landes hoch in den Nordwesten. Die Temperaturen sinken im Verlauf der Tour um zehn Grad. Jetzt, Anfang September bedeutet das hier oben in der Tagesspitze 20 Grad, was zum Fahren ideal ist. Das regnerische Wetter neulich war übrigens nur eine kurze Episode. Auch in den Bergen lacht die Sonne reichlich.

Im und um den Pivacanyon bekommt man als Motorradreisender glänzende Augen: Die Straße führt für viele Kilometer am Stausee entlang, der von hohen Felsen umgeben ist und im Sonnenlicht farbintensiv leuchtet. Zudem gibt es ein Feuerwerk an fotogenen Tunneln.

Oberhalb der Staumauer folgen wir in Höhenlage auf einsamen Sträßchen der Tara, dem Grenzfluss zu Bosnien. Vielerorts wird hier Wildwaterrafting angeboten. Die Nacht verbringen wir wild zeltend auf 1.100 Meter bei frischen vier Grad.

Zur Erkundung des berühmten Durmitor Nationalparks, in dessen weitläufigen Kiefernwäldern Braunbären, Adler, Wölfe und Luchse leben, schlagen wir unser Basecamp in Žabljak auf, das oberhalb der Baumgrenze im landschaftlich attraktivsten Teil des Parks liegt.

Die Möglichkeiten für Wanderungen von hier aus sind mannigfaltig. Die von uns gewählte hat auf 2.270 Metern ihren Höhepunkt – im eigentlichen, wie auch übertragenen Sinne: Der Blick aus schwindelerregender Position über den Veliko-Škrčko-See ist atemberaubend. Freilaufende Pferde- und Schafherden sind die Farbtupfer in der grandiosen Gebirgskulisse.

Aber auch mit dem Krad ist der Nationalpark der Hammer. Die Fahrt durch die Panorama starke Landschaft gehört zu den besten Europas und hat den Vorteil zu vielen anderen top Gebirgsstrecken auf diesem Kontinent, nur sehr moderat frequentiert zu sein. Was für ein erfreulicher Kontrast in Sachen Fahrzeugmengen beispielsweise zu den beiden großen „Transen“ im nahen Rumänien.

Die Wahnderungen in der Solana Ulcinj und im Durmitor NP haben uns begeistert, die im Mrtvica Canyon setzt noch einen drauf!

Auf unserem Trip durch die enge Schlucht scheuchen wir Dutzende von Eidechsen auf – in zig Farben und Größen. Eine Schlange nimmt Reißaus vor uns, als wir uns einen der smaragdgrünen, glasklaren Pools im Fluss näher anschauen wollen. Am Tor der Wünsche, einem Felsbogen, durch den man pittoresk auf den farbig schimmernden Fluss blickt, wird uns bewusst, das wir gerade wunschlos glücklich sind. Klasse!

Je weiter wir in die Schlucht vorstoßen, desto spektakulärer wird sie. Die Felswände, die teilweise mehrere hundert Meter hoch sind, kommen einander immer näher und scheinen förmlich gen Himmel zu schießen. Auf der spektakulärsten Etappe wurde der Pfad als Galerie, also als ein zum Abgrund offener Gang in die steil zum Fluss abfallende senkrechte Wand geschlagen. Das ist nichts für zarte, zum Schwindel neigende Gemüter!

Uns zieht es nochmal zurück in den Durmitor. Die Straße durch die enge Schlucht der Tara ist ein Genuss. Optisches Highlight ist die Đurđevića-Brücke, an der es sehr touristisch zugeht. Ziplining und Rafting sind an solchen Orten in ganz Montenegro feste Bestandteile des touristischen Angebots.

Unser vor vielen Jahren entdeckter Lieblings-Campingplatz mit seinen 5-Euro-“Hundehütten“ hat sich seither stark verändert.

Und er hat Konkurrenz bekommen, von einem Camp auf einer die Schlucht überragenden Anhöhe. Die Infrastruktur scheint minimal, aber der Ausblick morgens auf die Nebel umwaberte Brücke dürfte spektakulär sein. Für heute haben wir aber noch keine Lust, dem Fahrspaß ein Ende zu setzen, da es gerade mal Mittag ist. Und so setzen wir das genüssliche Endurowandern gen Norden durch einen auf dieser Reise noch nicht befahrenen Teil des Nationalparks fort - inklusive Picknick mit Blick über siedlungsfreie Bergnatur vom Feinsten.

 

Nördlich des Durmitor verirrt sich kaum ein (Motorrad-)Reisender. Für montenegrinische Verhältnisse ist die Berglandschaft hier mittelmäßig, im Vergleich mit heimischen Strecken gibt es dennoch ein klares „Daumen hoch“.

Der Norden ist offensichtlich, die "vergessene" Ecke des Landes. Man sieht sehr viel mehr verfallene Häuser, vieles wirkt ärmlicher und ein Schrottplatz folgt auf den nächsten - viele auf alte Golf und Passat spezialisiert.

In Berane zieht uns ein verfallener Industriekomplex an, der erste überhaupt, den ich in diesem Land wahrnehme. Entlang der Zufahrt erstreckt sich ein Roma-Slum. Wir werden von vielen Augenpaaren verfolgt. Auf dem riesigen Gelände der Fabrikruine konnte ich vor wenigen Jahren noch ungehindert umherfahren und fotografieren. Diesmal wird uns schnell von neuen Nutzern klar gemacht, dass wir unerwünscht sind. Auf dem Nachbargrundstück verrotten gut ein Dutzend Busse mit Beschriftung eines Luxemburger Unternehmens in unterschiedlichen Stadien der Ausschlachtung. Die Hälfte hab ich mir schon samt einigen verlassenen Werkhallen angeschaut, als wie aus dem Nichts ein riesiger Wachhund flott auf mich zu trabt, der seine lose Kette hinter sich herzieht. Sofortiger Rückzug ist auch hier angesagt. Die rauchschwangere Luft, die finster dreinblickenden Roma und vielleicht auch der graue Himmel, all das trägt zusammen mit dem gesamten Ambiente dieser Stadt dazu bei, das wir uns leicht unwohl fühlen und gleichzeitig fasziniert sind. Das hier ist jedenfalls ganz weit weg von der Hochglanz-Kreuzfahrtschiff-Brochüren-Welt der Kotorbucht!

Als wir nach zwei tollen Wochen in Montenegro auf die albanischen Grenze zu rollen, ist es wie so oft: Wir haben das Gefühl ganz viel in diesem großartigen Motorrad-Reise-Land noch nicht gesehen und erlebt zu haben. Unser Ideenspeicher für den nächsten Besuch hier ist voll mit Lost Places, Wanderungen und möglichen Routen in den diesmal nicht befahrenen Gebieten – ganz besonders im vordergründig weniger ansprechenden Norden.

Eine umfangreiche GPS-Datei aller im Text erwähnten Punkte, sowie je eine zu den beiden wirklich spektakulären Wanderungen gibt es nachfolgend zum Download:

alle im Text erwähnten Orte + einige mehr
Krad-Vagabunden - MNE - im Bericht erwäh[...]
GPS eXchange File [95.3 KB]
Wanderung Solana Ulcinj (verfallene Gebäude + Flamingos in Salinen etc.)
Krad-Vagabunden - MNE - Wanderung1.gpx
GPS eXchange File [241.3 KB]
Wanderung Mrtvica Canyon - alter Militärweg, der als Galerie in die senkrechte Felswand geschlagen wurde
Krad-Vagabunden - MNE - Wanderung2.gpx
GPS eXchange File [59.7 KB]

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© Frank Panthöfer